Achim Brandt (Attac München)                                                                                              26.10.11

achim.brandt@attac-m.org

www.kiesweg.de/Economic-Democracy

 

Bericht über David Schweickarts Besuch bei Attac München

am Dienstag, 11.10.2011

und das Sonderpalaver zum Thema “Der Kapitalismus in der Legitimationskrise:

Die Zustimmung schwindet. Gibt es eine Alternative?”

 

1.      Einleitung, Zusammenfassung.. 1

2.      Das „Sonderpalaver“ am Dienstag Abend, 11.10.11, um 19:30-22:00. 1

2.1        Vortrag.. 2

2.2        Diskussion.. 2

3.      Das Treffen am Dienstag Nachmittag.. 3

4.      Was vorher geschah.. 3

4.1        Habermas an der Uni München am 15.9.11. 3

4.2        Radio LoRa am 5.10.11: Sendung „Radio Attac“. 3

4.3        David Schweickart am Mo, 10.10.11 in Bratislava, Slowakei. 3

4.4        Radio LoRa Magazin am Mo, 10.10.11: Drei Fragen & Antworten.. 3

5.      Was nach Davids Besuch geschah.. 3

5.1        David Schweickart am 13.-15.10.11 in Berlin auf einem Kongress der Rosa-Luxemburg-Stiftung, und auf einem Seminar.. 3

5.2        Radio LoRa Sendung „Trotz Alledem“ am 18.10.11, mit Originalton David Schweickart   4

6.      Die nächsten Schritte.. 4

6.1        Was zu tun ist: Übersetzen.. 4

6.2        Offene Fragen.. 4

7.      Anhang.. 4

7.1        Fragen & Antworten in der Diskussion nach dem Abendvortrag am 11.10.11. 4

7.2        Fragen & Antworten beim Vorgespräch am Nachmittag.. 6

 

1.    Einleitung, Zusammenfassung

Am Dienstag, 11. Oktober 2011, war David Schweickart, Philosophieprofessor aus Chicago, Autor des Buches „After Capitalism“, Urheber einer Alternative zum Kapitalismus mit Namen „Economic Democracy“, in München auf Einladung von Attac und hielt einen Vortrag im Eine-Welt-Haus, als Sonderveranstaltung in der Reihe „Attac-Palaver“. Die Veranstaltung war sehr gut besucht. – Außerdem gab es am Nachmittag des 11.10.11 bereits eine Vorbesprechung mit David Schweickart im kleinen Kreis.

 

Ein paar Tage vorher gab es zwei Radio LoRa-Sendungen, am 5.10. und am 10.10.11, in denen David Schweickarts Vortrag angekündigt wurde, und im Nachklang fand in der LoRa-Sendung „Trotz Alledem“ am 18.10.11 nochmals eine Frage- und Antwortrunde zur „Economic Democracy“ statt mit Ausstrahlung des Interviews, das Renate Börger und Achim Brandt am 11.10.11 kurz vor der Abendveranstaltung mit David Schweickart geführt hatten. Mehr Info zu all diesen Veranstaltungen, sowie die Internetadressen der Vortragsfolien und weiterer Dokumente, gibt es im Folgenden. Das Material ist auch auf meiner Internet-Seite http://www.kiesweg.de/Economic-Democracy/2011-10-11_Munich.

2.    Das „Sonderpalaver“ am Dienstag Abend, 11.10.11, um 19:30-22:00

Die Veranstaltung war wie üblich im EWH-Programmheft angekündigt - hier ist ein Foto davon – und zusätzlich gab es ein Einladungs-Flugblatt.

2.1    Vortrag

Der Vortrag fand im Großen Saal im Eine-Welt-Haus, Schwanthalerstraße 80, statt. Der Saal war mit ca. 80 Teilnehmern ziemlich komplett gefüllt. Achim kündigte David Schweickart mit den Worten an, die auch in der ersten Vortragsfolie zu sehen sind: „Please welcome – coming all the way from Chicago – David Schweickart!“. Dazu erklangen die ersten Takte eines Blues von John Mayall (ebenfalls mit einer Ankündigung) – hier ist das Audiofile zum Nachhören: JohnMayall_All_Your_Love_First48secs.mp3.

 

Der Vortrag hatte den Titel „Der Kapitalismus in der Legitimationskrise: Die Zustimmung schwindet. Gibt es eine Alternative?“ bzw. auf Englisch: „Capitalism in Legitimation Crisis: Its Acceptance is Vanishing. Is there an Alternative?“ Prof. Schweickart (David) hielt den Vortrag auf Englisch, dazu wurden Vortragsfolien in deutscher Sprache gezeigt. David hielt sich eng an sein vorbereitetes Manuskript, das auch Basis der Folien war; dadurch konnten die animierten Bilder in zeitlicher Übereinstimmung mit dem gesprochenen Text dargestellt werden. Es wirkte ähnlich wie ein englischer Film mit deutschen Untertiteln. Die Folien und ein leicht gekürztes Manuskript sind hier abrufbar:

Folien deutsch                       Folien englisch

Manuskript deutsch                Manuskript englisch

 

Der Vortrag hatte folgende Schwerpunkte:

1)     Rückblick auf Jürgen Habermas und sein Buch von 1973 „Legitimationsprobleme im Spätkapitalismus“. David stellte dar, dass Habermas sich teilweise auf Karl Marx beruft, dass er aber in einigen wichtigen Punkten von Marx abweicht. Insbesondere hat Habermas eine differenzierte Theorie entwickelt, wie die verschiedenen Krisen schließlich zum Ende des Kapitalismus führen können. Die heutige Legitimationskrise, also der Rückgang des Vertrauens in die Wirtschaft, ist ein Zwischenschritt.

2)     Es folgten Erklärungen für die aktuelle, durch hohe Verschuldung gekennzeichnete Wirtschaftskrise in den USA, die sich weltweit auswirkt, wobei David unterscheidet zwischen der konventionellen Erklärung, die die Immobilienblase und die faulen Kredite als Ursache sieht, und einer tiefergehenden Erklärung, die auf den Erkenntnissen von Marx und Keynes aufsetzt, dass nämlich die Lohnarbeit zwangsweise zu mangelnder Kaufkraft und Nachfrage seitens der Arbeiter führt, die auch durch die Nachfrage seitens der Kapitalisten nicht ausgeglichen werden kann. Die aktuelle Schuldenkrise kommt daher, dass die Kapitalisten den Arbeitern Geld geliehen haben, statt ordentliche Löhne zu zahlen, und dass der Staat sich Geld bei den Reichen geliehen hat anstatt ausreichend Steuern zu erheben.

3)     David ist überzeugt, dass der Kapitalismus sich nur deshalb immer noch im Sattel halten kann, weil kaum jemand eine praktikable, verständliche Alternative kennt. Um dies zu ändern, hat David in den letzten zwanzig Jahren eine Alternative zum Kapitalismus entwickelt, die er „Economic Democracy“ nennt, auf Deutsch „Wirtschaftsdemokratie“. Diese Alternative skizzierte er in der Mitte des Vortrags. Die Economic Democracy ist gekennzeichnet durch a) einen Markt für Güter und Dienstleistungen, b) Demokratie am Arbeitsplatz: Fast alle Firmen sollen genossenschaftlich organisiert sein; ein Betriebsrat übernimmt die Rolle des Aufsichtsrats. c) Gesellschaftliche Steuerung des Kreditwesens und der Investitionen; der Finanzmarkt ist abgeschafft; Geld für Investitionen kommt nicht mehr von privaten Sparern und Kapitalanlegern, sondern wird durch eine Kapitalsteuer eingesammelt, die von allen Unternehmen erhoben wird. Die Kreditvergabe erfolgt durch ein demokratisiertes Bankwesen, wobei neben den finanziellen auch soziale und ökologische Gesichtspunkte beachtet werden. Ein weiteres Merkmal der Economic Democracy ist ein „sozialistischer Protektionismus“. Siehe die Folien am Ende der oben genannten Vortragsfoliendatei.

4)     Der Vortrag schloss mit bewegenden Zitaten von John Maynard Keynes, Arundhati Roy und anderen.

2.2    Diskussion

Es folgte eine lebhafte Diskussion zu folgenden Themen:

Zu den Details der Diskussion siehe die Fragen und Antworten, die hier unten im Anhang aufgelistet sind.

 

Am Ende bedankte sich David Schweickart beim Publikum für das Interesse am Vortrag und für die Ausdauer bei der 90-minütigen Diskussion.

3.    Das Treffen am Dienstag Nachmittag

Am Nachmittag des 11.10.11, um 16 Uhr, fand bereits ein Treffen mit D. Schweickart im kleinen Kreis im EWH, Raum 111, statt. Das angekündigte Thema war „Alternative Movements in the USA: Move-on, Anti-Wallstreet etc“, also „Alternative Bewegungen in den USA: Move-on, Gegen die Wallstreet usw.“ Das Gespräch lief weitgehend auf Englisch. Von Seiten Attac nahmen unter anderem teil: Achim (ich), Sue, Jochen, Charles Roberts, Raúl, Marlies, Renate.

 

Das Gespräch kreiste um Themen wie Bezahlung der Arbeit, die Wettbewerbsfähigkeit von Genossenschaften – aber auch um die „Occupy Wallstreet“-Bewegung und wie man sich organisieren kann. Siehe die Fragen und Antworten hier im Anhang.

4.    Was vorher geschah

4.1    Habermas an der Uni München am 15.9.11

Im September hatte ich Gelegenheit, Prof. Habermas – auf den sich Prof. Schweickart in seinem Vortrag bezieht – an der LMU im Rahmen der von Prof. Nida-Rümelin organisierten Philosophie-Tage „Welt der Gründe“ zu hören. Es war allerdings so voll, dass ich die Vorlesung nur per Video aus einem Nachbarraum sehen konnte. Es war beeindruckend, den 82-jährigen Habermas in Aktion zu sehen, wenngleich der Inhalt des Vortrags (Titel: „Über die Verkörperung von Gründen“) für mich als philosophischen Laien eher unverständlich war.

http://www.dgphil2011.uni-muenchen.de/download/plenar_und_abend.pdf ist die Übersicht der Vorträge.

4.2    Radio LoRa am 5.10.11: Sendung „Radio Attac“

Am Mittwoch, 5.10.11, hatte ich Gelegenheit, in der Sendung „Radio Attac“ auf Radio LoRa um 19 Uhr innerhalb von fünf Minuten die Grundzüge von David Schweickarts Economic Democracy vorzustellen. Hier ist der betreffende Ausschnitt aus der Sendung, zum Nachhören.

4.3    David Schweickart am Mo, 10.10.11 in Bratislava, Slowakei

Er hielt dort einen Vortrag auf einer Konferenz zu „Alternativen zum Kapitalismus“, mit anschließender ca. 3-stündiger Diskussion. Er wurde sogar vom slowakischen Fernsehen interviewt und gefilmt. Ich werde die Infos dazu, falls verfügbar, noch nachliefern.

4.4    Radio LoRa Magazin am Mo, 10.10.11: Drei Fragen & Antworten

Radio LoRa rief mich Montag, 10.10.11, mittags überraschend an und fragte, ob ich ein kurzes Interview geben könnte zur morgigen Veranstaltung mit David Schweickart im EWH. Ich sagte zu; das Interview wurde abends im ca. 18:17 gesendet. Hier ist a) die Ankündigung des Interviews, und b) das Interview, das LoRa mit mir führte.

5.    Was nach Davids Besuch geschah

5.1    David Schweickart am 13.-15.10.11 in Berlin auf einem Kongress der Rosa-Luxemburg-Stiftung, und auf einem Seminar

Von Do-Fr, 13.-14.10.11 fand in Berlin die Tagung

„Transformation im Kapitalismus und darüber hinaus“

1. Internationale Transformationskonferenz des Instituts für Gesellschaftsanalyse der Rosa-Luxemburg-Stiftung

statt. Siehe

http://www.rosalux.de/event/44126/transformation-im-kapitalismus-und-darueber-hinaus.html

 

David Schweickart sprach auf dieser Tagung am Donnerstag Nachmittag zu:

„Ökonomische Krise – Umweltkrise: Ursachen, tiefe Ursachen, Lösung“

Er wird wohl dargestellt haben, wie die Economic Democracy zur Lösung der ökologischen Krise beitragen kann, indem sie den kapitalistischen Wachstumszwang überwindet.

 

Am Samstag, 15.10.11, nahm Prof. Schweickart in Berlin an einem Seminar mit Prof. Michael Brie zum Thema „Alternativen zum Kapitalismus“ teil.

5.2    Radio LoRa Sendung „Trotz Alledem“ am 18.10.11, mit Originalton David Schweickart

Am Dienstag, 18.10.11, war David Schweickarts „Economic Democracy“ das Thema in Renate Börgers Radio-LoRa-Sendung „Trotz Alledem“. Es wurde das Interview ausgestrahlt, das Renate am Dienstag, 11.10.11, kurz vor dem Abendvortrag im EWH mit D. Schweickart geführt hat. Hier sind Ausschnitte aus der Sendung, zum Nachhören:

Introduction Eco.Dem. Teil 1 (Achim)    Interview D. Schweickart Teil 1 (Renate, Achim)

Introduction Eco.Dem. Teil 2 (Achim)    Interview D. Schweickart Teil 2 (Renate, Achim)

Introduction Eco.Dem. Teil 3 (Achim)

6.    Die nächsten Schritte

Wie geht es weiter?

6.1    Was zu tun ist: Übersetzen

Wir müssen unbedingt einen Weg finden, wie das Buch „After Capitalism“ von David Schweickart, das 2011 in der zweiten Auflage erschien, auf Deutsch erscheinen kann. Das Buch (Erstausgabe 2002) gilt im Ausland bereits als Klassiker zum Thema „Kapitalismuskritik“, „Alternativen“ und „Marktsozialismus“. Es kann auch Attac Deutschland zusätzlichen Rückenwind geben, wenn es in Deutschland besser bekannt wird. Wir müssen hierzu

a)     einen Verlag finden, der das Buch in Deutschland publizieren wird, und

b)    ein oder mehrere Übersetzer finden. Ich kann selber zur Übersetzung beitragen, aber wenn wir uns die Übersetzungsarbeit aufteilen könnten, kämen wir schneller voran.

6.2    Offene Fragen

Die „Economic Democracy“ ist ein weiterer Beleg dafür, dass es wahrlich Alternativen zum Kapitalismus gibt; die alte Behauptung „There is No Alternative“ (TINA) kann als widerlegt gelten. Aber gerade angesichts der Vielzahl von vorgeschlagenen Alternativen besteht nun Diskussionsbedarf zu der Frage, was denn die richtige Alternative zum Kapitalismus ist – oder ob sich mehrere Vorschläge, die in die gleiche Richtung zielen, kombinieren lassen. Hierbei kann auch ein Vergleich der Economic Democracy (ED) mit der Gemeinwohlökonomie (GWÖ) von Christian Felber (Attac Austria) hilfreich sein. Die Diskussion geht weiter.

7.    Anhang

7.1    Fragen & Antworten in der Diskussion nach dem Abendvortrag am 11.10.11

Hier ist eine Übersicht der Fragen (Q) aus dem Publikum und der Antworten (A) von David Schweickart am Dienstag, 11.10.11 nach dem Vortrag.

 

Q1:    Wie kann Umsetzung gelingen? Ein Vorschlag wäre, dass sich Konsumenten zu Einkaufsgenossenschaften zusammenschließen, die sich später zu Produktionsgenossenschaften weiterentwickeln – wie auf www.bedarfsnetz.de vorgeschlagen.

A1:     Gut möglich. Das ist im Sinne von Marx, der sagte, dass sich aus der Mitte der jetzigen Gesellschaft heraus neue Organisationsformen entwickeln werden. Wichtig ist, dabei eine Vision, ein Ziel zu haben.

Q2:    Falls die Economic Democracy (ED) Wirklichkeit wird – muss sie dann die Staatsschulden, die der Kapitalismus hinterlässt, zurückzahlen?

A2:     Nein. Die Kreditforderungen, die die einheimische Kapitalistenklasse an den Staat hat, werden für ungültig erklärt werden. Auch gegenüber Gläubigern im Ausland wird vermutlich der Schuldendienst eingestellt werden – das könnte technisch als Insolvenz abgewickelt werden.

Q3:    Jugoslawien: Dort hatte die Arbeiterselbstverwaltung keine überzeugenden Ergebnisse.

A3:     Der Zerfall Jugoslawiens erfolgte nicht wegen Ineffizienz der Arbeiterselbstverwaltung. Diese wurde allerdings von der KP behindert, die sich zu sehr einmischte. Weitere Fehler waren, dass keine Wohlstandsangleichung zwischen den Landesteilen erfolgte, und dass Jugoslawien sich im Ausland zu hoch verschuldete.

Q5:    Gewinnbeteiligung: Was ist, wenn kein Gewinn erzielt wird?

A5:     Der Fall ist sehr unwahrscheinlich, denn in der ED umfasst der Gewinn sämtliche Einnahmen nach Abzug der Materialkosten – während im Kapitalismus auch noch die Lohnkosten abgezogen werden, wodurch der Gewinn viel kleiner wird als das, was in der ED „Gewinn“ genannt wird. Bei schlechten Geschäften wird der Gewinn zwar klein werden, so dass weniger Gehälter zu verteilen sind, aber dass er null wird, ist unwahrscheinlich. – Wenn er wirklich null wird, zeigt es, dass die Firma am Bedarf vorbei produziert, dann muss sie auf andere Produkte umschwenken oder notfalls dichtmachen.

Q6:    Kapitalistisches Denken gibt’s auch unter den Arbeitern, denn das steckt uns tief in den Knochen. Das verschwindet nicht.

A6:     Das typische kapitalistische Denken, dass man viel arbeiten muss für wenig Geld, und dass die Löhne niedrig sein müssen, damit die Gewinne hoch sind, wird verschwinden, sobald die Arbeiter ihr Einkommen aus den Gewinnen beziehen.

Q7:    Die Existenzangst muss weg!

A7:     Ja – und sie wird in der ED deutlich geringer sein, weil es viel leichter sein wird, einen Arbeitsplatz zu bekommen und zu behalten. Die Schaffung von Arbeitsplätzen wird vom demokratischen Bankwesen belohnt – und der Staat schafft Reserve-Jobs.

Q8:    Bedingungsloses Grundeinkommen (BGE) – hat die ED das vorgesehen? Es würde uns von dem menschenunwürdigen Zwang befreien, dass man einen Job haben muss, um gut zu leben.

A8:     Nein, die ED setzt lieber auf Arbeitsplätze für alle, die einen haben wollen. Denn wenn Leute das BGE bekommen, ohne dafür etwas tun zu müssen, ist das wie die Mitteilung: Wir brauchen Deine Arbeit nicht; Du bist eigentlich unnötig. So eine Mitteilung ist gegen die Würde der Menschen. Und wer wird noch die unvermeidlichen unangenehmen Arbeiten tun, wenn es das BGE gibt? Außerdem wird es Streit geben zwischen denen, die Erwerbsarbeit leisten und mit ihren Steuern das BGE finanzieren, und denen, die von BGE leben.

Q9:    Gibt es noch immer so viele Obdachlose in den USA?

A9:     Ja, es ist noch schlimmer geworden. Früher wurde mal ein „War on poverty“ geführt, also ein „Kampf gegen die Armut.“ Das ist vorbei. Inzwischen haben Staat und Wirtschaft sich mit der Armut abgefunden.

Q10:   Und die Schusswaffen in den USA? Werden diese bereits gegen Demonstranten in Anschlag gebracht?

A10:   Die vielen Schusswaffen in privater Hand sind schockierend. Viele Menschen kommen dadurch zu Tode. Aber dass sie gegen Demonstranten eingesetzt würden, ist zum Glück noch nicht der Fall.

Q11:   Kann die ED in einem einzigen Land eingeführt werden oder brauchen wir die Weltrevolution?

A11:   Es ist in einem Land möglich. Man bedenke, dass Genossenschaften schon lange mitten im Kapitalismus existieren, und auch staatliche oder genossenschaftliche Banken gibt es. Das müsste sich nur gegenüber dem kapitalistischen Umfeld ausbreiten. Es ist zu hoffen, dass die Demokratisierung der Wirtschaft in einzelnen Ländern anfängt, z.B. in Argentinien, Venezuela, Kuba – und dass andere Länder dem Beispiel folgen.

Q12:   Wie kann die 15-Stunden-Woche sich in der ED durchsetzen?

A12:   Durch die Demokratisierung. Denn wenn die Arbeiter zum Bestimmer der Wirtschaft werden und frei wählen können, ob sie viel arbeiten und viel konsumieren, oder weniger arbeiten und trotzdem noch ein gutes Einkommen genießen wollen, dann werden sie sich mit Sicherheit für Arbeitszeitverkürzung entscheiden.

Q13:   Arbeitszeitverkürzung kann heute schon jeder Mensch selber durchführen. Man braucht doch gar nicht so viel Geld.

A13:   Nein, diese Wahlmöglichkeit besteht für die meisten nicht. Denn die kapitalistischen Firmen sind an maximal arbeitenden Menschen interessiert und bieten daher zu wenige Möglichkeiten, mit halber Arbeit über die Runden zu kommen. Demokratische Firmen werden dagegen flexible Arbeitszeiten anbieten: 40 oder nur 10 Wochenstunden, oder Zwischenstufen.

Q14:   Wir müssen weg vom Materialismus, nicht wahr?

A14:   Ja. Zeit für die Familie usw. ist genauso wichtig. Dass der Kapitalismus die Menschen ständig zum Konsum anstachelt, obwohl das meiste davon gar nicht glücklich macht, zeigt, wie verrückt dieses Wirtschaftssystem ist.

Q15:   Können wir von den spanischen Anarchisten lernen? Sie haben Arbeiterselbstverwaltung ausprobiert.

A15:   Ja – Erfahrungen mit Arbeiterselbstverwaltung gab es dort. Aber zum Thema Demokratische Kontrolle der Investitionen haben die Anarchisten nichts ausprobiert. Auf diesem Gebiet ist nämlich Planung nötig.

Q16:   Harro Colshorn, Sprecher des „Energiefeld Gemeinwohlökonomie (GWÖ) in Bayern“, dankte für den visionären Vortrag, und stellte die Frage nach dem Übergang: Wie kommt man von hier nach dort? Er berichtete, wie die GWÖ den Übergang plant: Eine Reihe von Pionierunternehmen macht den Anfang. Sie haben gerade am 5.10.11 in einer Pressekonferenz ihre Gemeinwohlbilanzen präsentiert. Diese Bilanz bewertet Dinge wie: a) Bleiben die Gewinne im Unternehmen (keine Auszahlung an Externe)? b) Sind die Mitarbeiter am Firmeneigentum beteiligt? Und vieles mehr. Die Firmen fordern, dass ihr gutes Gemeinwohlverhalten vom Staat gefördert wird durch niedrige Steuern, günstige Kredite, öffentliche Aufträge und günstige Zölle. Harro schlägt vor, auch für die ED solch praktische Umsetzungsschritte zu beginnen.

A16:   David begrüßt diese Initiative der positiv denkenden Unternehmer. Leider ist die Mehrheit der Kapitalisten nicht so einsichtig. – David fragt zurück, ob die Pionierunternehmer vorhaben, ihre Firmen beim Ausscheiden des Firmengründers an die Mitarbeiter zu übergeben? Harro bejaht dies – was David begrüßt. – David sieht allerdings noch andere, wichtige Wege zur Einführung der ED: a) Einführung einer Reichtumssteuer zur Umverteilung des Reichtums der oberen 1 Prozent. b) Übernahme von Firmen, deren Aktienkurse in der Wirtschaftskrise zusammenbrechen. Die Belegschaft sollte die Gelegenheit nutzen und die Firma aufkaufen. Bei General Motors (GM) hat der Staat die Firma gekauft, hat sie aber dann, als die Geschäfte wieder liefen, an die Aktionäre zurückgegeben statt an die Arbeiter.

Q17:   Die „Occupy Wallstreet“ Proteste – was sagt David dazu?

A17:   Das kam unerwartet. Es ist interessant, dass der Kapitalismus immer mehr am Pranger steht und dass das Wort „Kapitalismus“ nun in aller Munde ist. Wohin die Proteste führen, ist schwer zu sagen.

Q18:   Ist Evo Moralez, der den Indigenen zugehörige Präsident Boliviens, ein Grund zur Hoffnung? Sein Pipeline-Projekt ist umstritten.

A18:   Er ist in einer schwierigen Lage, wie alle linken Regierungen in Südamerika. Er will das Land befreien, aber gleichzeitig muss er die Infrastruktur entwickeln. Eine einfache Lösung gibt es nicht.

Q19:   Wie werden in der ED die Geschäftsführer der Firmen bestimmt?

A19:   Im Prinzip so wie in der Genossenschaftsvereinigung Mondragon (Baskenland): Die Arbeiter wählen einen Arbeiterrat oder Betriebsrat, dieser ernennt die Geschäftsführer für einen bestimmten Zeitraum; wenn die Geschäftsführer schlechte Arbeit machen, wird ihr Vertrag nicht verlängert.

Q20:   Warum gibt es Unterschiede der Gehälter in der ED?

A20:   Die Mitarbeiter können das frei entscheiden. Sie können eine Regelung machen, wo Kollegen, die besonders viel für die Firma tun, mehr verdienen als andere – oder sie können entscheiden, dass alle gleich viel kriegen. In Mondragon war es anfangs 3:1, inzwischen liegt eine Spreizung von 7:1 vor.

Q21:   Die Zivilgesellschaft in der ED sollte auch Einfluss haben auf das Verhalten der Firmen. Hat sie das?

A21:   Ja – die Vergabe der Investitionskredite von den öffentlichen Banken an die Firmen, wie auch die Frage, was geht an die Genossenschaften und was bleibt im Haushalt der Öffentlichen Hand, wird von Regionalparlamenten demokratisch verhandelt. Hierbei können alle relevanten Gesichtspunkte zum Tragen kommen. Bestimmte unakzeptable Wirtschaftszweige werden gar keine Kredite bekommen.

7.1    Fragen & Antworten beim Vorgespräch am Nachmittag

Die Nummerierung fängt bei einer höheren Nummer an, zur Vermeidung von Verwechslung mit den 21 Fragen aus der Abenddiskussion.

Q31:   Wieso setzt die ED so stark auf Erwerbsarbeit, also auf Anreiz durch Bezahlung? Gute Arbeit kann doch von sich aus befriedigend sein.

A31:   Die Trennung von Arbeit und Einkommen ist ein Fernziel, das auch die Economic Democracy dereinst erreichen kann, wenn sie möglicherweise in den Kommunismus mündet. Kurzfristig ist aber die faire Bezahlung der Arbeit das Etappenziel.

Q32:   Wieso sind Genossenschaften nicht genauso auf Expansion aus wie die heutigen Firmen?

A32:   Das liegt daran, dass in Genossenschaften der Gewinn auf alle verteilt wird. Wenn die Firma expandiert, wächst zwar vermutlich der Gewinn, aber auch die Anzahl Köpfe, auf die er verteilt wird - im Gegensatz zu kapitalistischen Firmen, wo Eigentümer und Belegschaft getrennt sind. Bei Genossenschaften bleibt der Gewinn pro Kopf bei Expansion weitgehend gleich, so dass für die Entscheider (die Belegschaft) kein finanzieller Wachstumsanreiz besteht.

Q33:   Nochmal zur Bezahlung der Arbeit: Manchmal wird Initiative und Kreativität sogar durch ein Arbeitsentgelt gelähmt – wie Studien gezeigt haben. „Geld macht faul.“ Nur langweilige Arbeit muss durch Geld attraktiv gemacht werden. Was ist dazu zu sagen?

A33:   Klar – langweilige Arbeit braucht ordentliche Bezahlung als Ausgleich. Aber auch ich als Professor mit einer spannenden, kreativen Arbeit bin nicht beleidigt, wenn ich dafür auch noch Geld kriege. – Wir sollten übrigens nicht streng egalitär (gleichmacherisch) sein: Manche Arbeiten verdienen, mit mehr Geld belohnt zu werden.

Q34:   Sind demokratische Firmen, wo alle glücklich sind, nicht in der Konkurrenz im Nachteil gegenüber kapitalistischen Firmen, die ihre Arbeiter stärker ausnützen?

A34:   Das muss nicht sein. Es kann auch umgekehrt sein: Demokratisch geführte Firmen treffen oft bessere Entscheidungen, als wenn Manager im Auftrag der Eigentümer die Politik bestimmen; die Mitarbeiter arbeiten verantwortungsvoller usw. Es gibt viele Beispiele für erfolgreiche Mitarbeiterunternehmen.

Q35:   Zur Bewegung „Occupy Wallstreet“: Wodurch wurde sie ausgelöst?

A35:   Wichtiger Anstoß war der Artikel von Nobelpreisträger Josef Stieglitz, der die Spaltung der Gesellschaft in das obere 1% und den großen Rest (99%) ins Bewusstsein rief mit dem Slogan „Of the 1%, by the 1%, for the 1%“ – was eine Abwandlung des patriotischen Satzes von Abraham Lincoln ist: „Of the people, by the people, for the people.“

Q36:   Warum haben die Neoliberalen und die Spekulanten in den letzten Jahren so dominiert gegenüber den gemäßigten Ökonomen?

A36:   Es gibt unter den Kapitalisten einerseits die verrückten, verantwortungslosen – und andererseits solche, mit denen man reden kann. Das Problem ist, dass die jetzige Krise so ausweglos ist, dass die „vernünftigen“ Kapitalisten keinen Ausweg mehr sehen, sich zurückziehen und schweigen. Damit überlassen sie das Feld den „Verrückten“, die nur an ihren Vorteil denken ohne Rücksicht auf die Zukunft oder ihre Mitmenschen.

Q37:   Hat die Idee der Kooperativen Zukunft?

A37:   Ja. Übrigens hat die UN das Jahr 2012 zum „Jahr der Kooperativen“ erklärt.

Q38:   Wie kann sich eine Bewegung organisieren?

A38:   David verweist auf das Buch von Paul Hawken: „Blessed Unrest – how the Largest Movement in the World Came Into Being, and Why No One Saw it Coming.“ („Heilige Unruhe – wie die größte Massenbewegung der Welt entstand, und warum niemand sie kommen sah.“) Siehe http://blessedunrest.com/. Es dämmert den Leuten, dass etwas getan werden muss. Es gibt in den USA eine Vielzahl kleiner Umwelt-Gruppen. Wenn die sich zusammenschließen, sind sie eine große Bewegung.